Geflüchtete Kinder, Jugendliche
und junge Erwachsene im Blick
Hochkarätige Fachtagung des
Psychosozialen Zentrums im
Caritasverband Rhein-Mosel-Ahr
19.10.2021 | Das Psychosoziale Zentrum für
Flüchtlinge (PSZ), Caritasverband Rhein-
Mosel-Ahr e.V., hatte Mitte September zur
Fachtagung „Brücken schlagen – Arbeit mit
geflüchteten Kindern, Jugendlichen und
jungen Erwachsenen in psychosozialen
Kontexten“ ins Klosterforum Maria Laach
eingeladen. Als Kooperationspartner
unterstützten die LIGA der freien Wohl-
fahrtspflege in RLP sowie die AG Flucht und
Trauma (Zusammenschluss der PSZ in RLP)
die Veranstaltung.
Gruppenfoto mit Referent Ahmad Mansour (3.v.r.)
Markus Göpfert, Fachdienstleiter Migration,
zeigte sich bei seiner Begrüßung glücklich,
dass die Veranstaltung trotz Corona über-
haupt in Präsenz stattfinden konnte. Caritas-
Mitarbeiterin und Moderatorin Tina Heidger
leitete über zur Videobotschaft von
Ministerin Katharina Binz, Integrations-
ministerium Rheinland-Pfalz, die aufgrund
einer Plenarsitzung leider verhindert war. Dr.
Daniel Asche, Abteilungsleiter Integration
und Migration des rheinland-pfälzischen
Ministeriums für Familie, Frauen, Kultur und
Integration, benannte in seinem Grußwort
u.a. „eine klare Unterversorgung“ bei
Aufnahme und Integration (junger)
Geflüchteter. Hier müsse deutlich mehr
getan werden. Die Niederschwelligkeit und
Sensibilität der PSZ-Arbeit hob er als „vor-
bildlich“ hervor: „Ich bedanke mich für Ihre
Arbeit und die Unterstützung der PSZ.“
Grußwort Dr. Daniel Asche (MFFKI RLP)
Für den ersten Fachvortrag des Tages war
Johanna Karpenstein vom Bundesverband
unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
(BumF e.V.) per Video zugeschaltet. Sie führte
eine Vielzahl von Belastungen für geflüchtete
Jugendliche anschaulich vor Augen: Trennung
von der Familie, aufenthaltsrechtliche
Unsicherheiten, Zukunftsängste, Folgen der
Flucht und die Situation im Herkunftsland,
psychische Erkrankungen sowie Rassismus-
erfahrungen. Vielen jungen Menschen seien
zudem die Abläufe nicht klar, sie kennen die
Hilfesysteme vor Ort nicht ausreichend und
sind oftmals orientierungslos angesichts
einer Vielzahl unterschiedlicher Anlauf- und
Beratungsstellen. Dies zu erklären, sei oft zu
komplex und durch die Sprachbarriere
zusätzlich erschwert. Die jungen Menschen
sind nur unzureichend an den eigenen
Asylverfahren beteiligt und in Fragen des
Rechtsschutzes oft nur mangelhaft über ihre
Möglichkeiten informiert. Das mache es
schwieriger, Jugendliche zu stärken und
ihnen das zu geben, was sie wirklich
brauchen, „als Individuum wahrgenommen
zu werden, in Kontakt zu sein und auch
Fehler machen zu dürfen. Beziehungs-
kontinuität über die Jugendhilfe und die
Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus
herzustellen, ist das A und O.“
Für den zweiten Fachvortrag trat im
Anschluss der Psychologe und Bestseller-
autor Ahmad Mansour ans Rednerpult, um
über „Psychologische und soziologische
Ursachen für Delinquenz bei jungen
Flüchtlingen und wie man damit umgehen
kann“ zu sprechen. Differenziert führte
Ahmad Mansour eine Vielzahl an Faktoren
an, die das Ankommen und die Integration in
der Aufnahmegesellschaft zu einer sehr
komplexen Herausforderung macht.
Insgesamt sei zu beachten, dass es unter
Geflüchteten sehr große Unterschiede in
Sachen Fluchtmotivation und kultureller
Prägungen im Herkunftsland – aus welchem
Staat kommt jemand, ist er dort städtisch
oder dörflich aufgewachsen? etc. – gibt.
Mit Blick auf Geflüchtete aus patriarchal und
kollektivistisch geprägten Gesellschaften sei
festzuhalten, dass bei der Übersiedlung in
eine stark liberal und individualistisch
geprägte Aufnahmegesellschaft zunächst
sehr unterschiedliche Wertvorstellungen
aufeinanderprallen. „Bei der Integration von
Geflüchteten aus patriarchalen Herkunfts-
gesellschaften haben Frauen viel zu
gewinnen, Männer hingegen viel zu
verlieren.“ Unkenntnis und Unsicherheiten
bezüglich der neuen Gesellschaftsform
verstärken Ängste vor dem Verlust der
mitgebrachten Identität. Beiderseitige
Vorurteile, Rassismus und Ausgrenzung
verfestigen sich, wo Austausch und
Begegnung ausbleiben. Auch wenn es der
Mehrzahl der jungen Geflüchteten gelinge,
den „Spagat“ zwischen Herkunftskultur (im
familiären Umfeld) und Aufnahmekultur
(Schule, Ausbildungsplatz, Freundeskreis etc.)
zu meistern, sei aber auch über die Fälle zu
sprechen, in denen „das Eigene“ vehement,
mitunter bis hin zum Einsatz von Zwang und
Gewalt gegen die eigene Familie – Zwangs-
heirat, Ehrenmord etc. – verteidigt werde.
Integration sei zwar durchaus als Bringschuld
der Zugewanderten zu verstehen, könne
jedoch nur gelingen, wenn diese Menschen
„auf eine Mehrheitsgesellschaft treffen, die
bereit ist, ihre Tore zu öffnen.“ Mansour wirbt
dafür, jungen Geflüchteten eine emotionale
Brücke in die Mehrheitsgesellschaft zu
bauen. „Wir müssen diese jungen Menschen
für unsere Vorstellung von Freiheit und
Demokratie gewinnen.“ Der Vortrag von
Ahmad Mansour bewegte die Zuhörerinnen
und Zuhörer, wie die anschließende rege
Diskussion zeigte.
In mehreren Workshops wurde die Fach-
tagung am Nachmittag fortgesetzt. Forum.1
leitete Florian Hammerle, Geschäftsführer
der Klinik und Poliklinik für Kinder- und
Jugendpsychiatrie und -psychotherapie der
Universitätsmedizin Mainz, mit dem Thema
„Psychotherapeutische und psychiatrische
Versorgung adoleszenter Patientinnen und
Patienten“. Im Forum.2 sprachen Dr. hc.
Esther Mujawayo-Keiner und Sabine Rauch
vom Psychosozialen Zentrum (PSZ)
Düsseldorf über „Beziehungsaufbau einmal
anders“ und stellten alternative Heran-
gehensweisen in der Beziehungsgestaltung
und Eingangskommunikation für die Arbeit
mit Familien vor.
Wie Elternarbeit kultursensibel gestaltet
werden kann, thematisierten Inga Machleit
und Maria Zagaynova ihre Arbeit im PSZ im
Forum.3. Hilfreich sei es, eine gute Beziehung
auch zu den Eltern aufzubauen und sie mit
niederschwelligen Angeboten zu erreichen.
Carina Klee, Inga Schröder und Julia Schengel
zeigten im Forum.4 auf, welche psycho-
sozialen Stabilisierungsangebote das PSZ für
geflüchtete Kinder und Jugendliche bereit-
hält.
Mit dieser Fachtagung bot das Psychosoziale
Zentrum der Caritas den Teilnehmerinnen
und Teilnehmern aus dem Gesundheits-
wesen, Psychotherapie, Pädagogik und
Sozialarbeit einen Tag mit vielen hoch-
karätigen Referentinnen und Referenten, die
aufzeigten, wie in der psychosozialen Arbeit
Brücken zu geflüchteten Kindern, Jugend-
lichen und jungen Erwachsenen geschlagen
werden können.